Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen auf der Flucht in Sundern
In beispiellosem Engagement haben sich 2015 die Sunderner in allen Ortsteilen um die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge gekümmert. Unterkunft, Kleidung, Essen, medizinische Betreuung und dann: Sprachkurse, waren die drängenden Aufgaben. Klar war allen Helfern, dass die Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden müssen, damit sie selbständig in Deutschland leben können. Heute, 3 Jahre später, gibt es dazu etliche gelungene Beispiele zu erzählen, ganz persönliche Geschichten direkt aus Sundern:
„Gib mir mal das Messgerät rüber – wieviel Volt liegen denn auf dem vorderen Signaleingang?“ Ahmad Shhade (Titelbild) kniet vor einer Faltschachtelklebemaschine bei der Tillmann Wellpappe und untersucht zusammen mit einem Kollegen, warum die Maschine nicht mehr arbeitet. Seit November 2016 ist der Mechatroniker in der Instandhaltung des Stockumer Verpackungsherstellers tätig.
Geboren 1990 als eines von insgesamt sechs Geschwistern wuchs Ahmad in der syrischen Stadt Latakia auf, besuchte dort die Grundschule, Mittelschule und die Sekundarschule bis zum Abitur. Nach einem fünfjährigen Bachelor-Studium zum Mechatroniker an der Universität Damaskus begann er als Betriebsleiter des örtlichen Bahnhofs in Latakia seine Berufslaufbahn. Kurz vor der Einberufung zum Kriegseinsatz floh Ahmad zusammen mit seinem jüngeren Bruder. Die Flucht dauerte insgesamt 17 Tage und führte die Brüder durch insgesamt elf Länder.
„Im Oktober 2015 kamen wir ins Sauerland. Zunächst absolvierte ich ein Praktikum bei Kaiser & Waltermann in Amecke, es folgten dann zwei Praktika bei den Firmen Tillmann Wellpappe und Zöllner-Wiethoff.“ erinnert sich Ahmad. Weil er sich bei allen drei Betrieben als wissbegieriger und eifriger Praktikant auszeichnete, erhielt er im November 2016 bei der Firma Tillmann Wellpappe einen „richtigen“ Arbeitsvertrag im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses. Erst kürzlich wurde er nach entsprechender Ausbildung zum Laserschutzbeauftragen bestellt. Nun möchte er berufsbegleitend ein Masterstudium an der Fern-Uni Hagen aufnehmen.
Auch bei L&R Kältetechnik ist einer der 120 Mitarbeiter aus seiner Heimat geflohen, um neue Lebensperspektiven zu finden. Der 29-jährige Asghar Jahangire-Kharji aus dem Iran war bereits in seiner Heimat als Schweißer tätig. Besonders sein Know-how bei der Herstellung von Edelstahl-Verrohrungen ist bei L&R gefragt. Sobald er in der deutschen Sprache sicherer ist, soll er als Schweißerfachkraft ausgebildet werden. „Nicht nur für ihn, sondern auch für seine Kollegen ist die Zusammenarbeit eine besondere Herausforderung. Er bemüht sich sehr, unsere Sprache schnell zu erlernen. Gerade am Anfang hieß es in der Kommunikation oft zu improvisieren, mit gutem Willen auf beiden Seiten kommt Asghar jedoch gut voran“, beschreibt Geschäftsführer Sebastian Rüßmann den Arbeitsalltag. Ein weiterer Mitarbeiter mit iranischen Wurzeln, Farhad Aidinia, musste L&R dieses Jahr verlassen, da sein Status als Flüchtling aberkannt wurde. Seine Arbeitskollegen, die zu Freunden wurden, stehen weiterhin in engem Kontakt zu ihm und hoffen, ihn bald wieder begrüßen zu dürfen.
Der 22-jährige Sohail Razai hat als erster seiner Familie, bedroht und angegriffen von den Taliban, im Juni 2014 seine Heimat Herat in Afghanistan verlassen und hat im August 2014 den Asylantrag in Deutschland gestellt. Er begann Sprachkurse zu absolvieren und konnte 2017 bei der Firma BKB Profiltechnik in Amecke ein Praktikum absolvieren, 3 Monate später wurde er dort fest eingestellt. Seit August ist er nun Auszubildender zum Maschinen- und Anlagenführer und besucht zusätzlich zum Berufsschulunterricht noch einen Sprachkurs bei Kolping in Arnsberg-Neheim. Zur Verbesserung der Sprachkompetenz ist zusätzlich der Besuch eines außerschulischen Sprachkurses für Azubis geplant. Sein Asylantrag wurde mehr als 3 Jahre nach Einreichung abgelehnt, wogegen er Klage erhoben hat. Dieses Verfahren läuft zurzeit noch – ein Termin für eine Entscheidung ist nicht abzusehen.
Sein aktueller Aufenthaltstitel ermöglicht ihm die Arbeitsaufnahme, die Teilnahme an Integrationskursen jedoch nicht. Seine Eltern sind einige Zeit nach ihm in den Iran geflohen – seitdem hat er keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Alexandra Bültmann-Keller, Geschäftsführerin von BKB, ist überzeugt von Sohail Razai: „Da er ein gutes technisches Verständnis mitbringt, haben wir die Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer befürwortet. Die Einstellung und das Engagement von Herrn Razai sind beispielhaft, was mich gerade vor dem Hintergrund seines Lebenswegs sehr beeindruckt.“
Die Geschäftsführer Sunderner Produktionsunternehmen, die sich in der Initiative einsU zusammengeschlossen haben, sind sich einig in ihren positiven Erfahrungen und stolz auf ihre Mitarbeiter wie Ahmad Shhade, Farhad Aidinia, Asghar Jahangire-Kharji und Sohail Razai, die als Flüchtlinge in unsere Region kamen und nun Teil der Sunderner Gesellschaft sind. Insgesamt sind derzeit mehr als 30 Flüchtlinge als Auszubildende, Festangestellte oder Praktikanten in den einsU-Unternehmen beschäftigt. „Die einsU-Unternehmen sind fest mit dem Standort Sundern verbunden und stellen sich gemeinsam den Aufgaben, die alle betreffen. Dazu zählt auch die Integration unserer neuen Mitbürger“, erklärt Koordinatorin der Initiative Barbara Vielhaber die Motivation. „Trotz der positiven Erfahrungen haben wir noch einen langen Weg vor uns. Für den Spracherwerb wollen wir innerhalb von einsU selbst aktiv werden und gemeinsam zusätzlichen berufsbezogenen Sprachunterricht organisieren. Auch für Mitarbeiter, die schon länger in Deutschland leben und hier Unterstützung brauchen. Von Seiten der Politik und der Behörden würden uns schnelle Entscheidungen und pragmatische Herangehensweisen sehr helfen. Gerne stehen wir auch bereit, um mit anderen Unternehmern konkrete Erfahrungen auszutauschen“.
Wilfried Haake vom Bürgernetzwerk Flüchtlingshilfe weiß die bisherigen Erfolge zu schätzen und kommentiert: „Zusammen mit Jobcenter, Arbeitsagenturen, Ausländerbehörden etc. ist es gelungen, Verfahren zu beschleunigen und Schwellen abzubauen. Als wichtiges Bindeglied stellt sich hier immer wieder das ehrenamtliche Engagement von Männern und Frauen aus dem Stadtgebiet Sundern dar, welche durch ihre persönlichen Kontakte und eine unbürokratische Vorgehensweise entscheidende Hilfestellung leisten. Um die Integration letztendlich zu einem wirklichen Erfolgserlebnis werden zu lassen, muss hier noch an etlichen Stellschrauben gedreht werden. Die Politik ist gefordert noch schnellere Verfahren zu ermöglichen, alle beteiligten Behörden/Institutionen müssen besser vernetzt sein und letztendlich darf das Ehrenamt nicht aufhören, hier immer wieder nachzuhaken und auch unbequem zu sein.“